Der „flotte” Lieutenant.

Novellette von A. Schoebel
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 16.01.1898


„Himmelkreuzbombenelement!”

Der Sekondelieutenant Felix Brandt von Eichstedt schleudert das Heft, über welchem er seit etwa einer Stunde brütend gesessen hat, so heftig von sich, daß es im Fluge eine Flasche peau d'Espagne sowie das Tintenfaß mit sich reißt.

„Himmelkreuzbombenelement!” Der junge Offizier springt auf und beginnt im Zimmer umherzutigern. Ihm fällt's nicht weiter auf, daß er mit seinen rothjuchtenen Schuhen durch die kleinen Pfützen hinstapft, welche das ausfließende Parfüm und die Tinte gebildet haben.

„Der Teufel in Person mut Schweif und Pferdefuß müßt' man sein, um mit diesen schundigen paar Kröten durchzukommen!”

Er schiebt die Hände in die Taschen seines eleganten Morgenjackets, das sich weit öffnet über dem gelbseidenen, mit übermüthigen Bildern bedruckten Oxfordhemd.

Noch zehn Minuten, und die Last vom Herzen sowie die Vertikale von der Stirn ist weggeflucht. Gelassen bückt sich der Lieutenant nach dem blauen Heft und beugt den hübschen Kopf mit dem tadellos durchgezogenen Scheitel von Neuem darüber.

In seiner flotten Schrift wirft er Zahlen und Anmerkungen hin, rechnet und rechnet — — aber es stimmt nicht, kann gar nicht stimmen, wird niemals stimmen!

Seine Gage beträgt monatlich 75 Mark. Dazu kommt der Wohnungszuschuß mit 20 Mark, nebst 30 mark Servis — macht auf den Kopf 125 Mark.

Wenn er nun die allernöthigsten und gar nicht zu umgehenden Ausgaben folgendermaßen berechnet:

Kasino-Essen
Kasino-Beitrag
Wohnung mit Burschen-Gelaß
1 Liebesmahl bei gagenmäßigem Abzug
Für den Burschen
Musik-Beitrag
Kommando-Kasse
Bibliothek
Steuern
Lese-Zirkel
Lebens-Versicherung
Kleiderkasse
 
30,-- Mk.
2,50 "   
50,-- " 
9,-- " 
6,-- " 
2,50 " 
-,50 " 
1,-- " 
1,50 " 
-,50 " 
2,50 " 
24,-- " 
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so macht das allein schon . . . . . 130,-- Mk. aus. Und da ist noch ger keine Rede von Ausgaben für Abendbrot, Frühstück, Beleuchtung, Heizung, Friseur, Toilettegegenstände, Wäsche, für Neuanschaffungen von vorschriftsmäßigen Koffern, Zeichenmaterial, Büchern, Meldekarten, — für die hundert kleinen Bedürfnisse des Tages, für Vergnügungen und „honorige” Trinkgelder! Was wollen all diesen Anforderungen gegenüber die hundert Mark Monatszuschuß bedeuten, welche sich die Familie daheim für den flotten Lieutenant abknausert!

Mit einem gewissen Unbehagen denkt der schöne Felix an die Rechnung, welche ihm demnächst der Militärschneider für eine auf Seide gearbeitete Extra-Uniform nebst atlasdurchfüttertem Mantel mit Biberkragen präsentiren wird. Er wirft einen Blick in den gegenüber­hängenden Spiegel. Ah bah! Einem Burschen wie ihm kann's nicht fehlen! Jenes verwegene Lächeln, das sein junges Gesicht so gut kleidet, kräuselt die übermüthig geschnittenen Lippen. Er pfeift durch die Zähne. Das „Verfluchte-Kerl”-Spielen kostet eben heidenmäßig viel Geld! Da ist weiter nichts zu machen! Mitleidig gedenkt der junge Offizier der ersten Phase seines Soldatenthums, da er, von kriegerischen Ideen erfüllt, sich einer feierlichen Solidität befleißigt hat, — da er Terrain- und Waffenlehre büffelte und vor seinem Blick schon die himbeerrothen Streifen des Generalstäblers schimmerten — — —

Mit etwas forcirter Seelenruhe klappt der Lieutenant Brandt von Eichstedt das „Sündenregister” zu und tritt eine halbe Stunde später, tadellos adjustirt, aus seiner Wohnung.

Aber zum ersten Male gewährt ihm der „Straßenbummel” nicht den gewohnten Spaß. Er vergißt den salutirenden Untergebenen gegenüber die absichtliche Nachlässigkeit, er spürt den sengenden Blick einer reizend feschen kleinen Frau gar nicht auf den gesenkten Lidern, — kurz, er erinnert sich in diesen Minuten kaum, daß er der schönste junge Mensch vom Regiment ist.

In einer sentimentalen Anwandlung macht er Halt vor der Auslage eines bekannten Waffenhändlers. Es blitzt darin von Gewehren, von Pistolen. Ein paar solcher Dinger in elegantem Kasten hat der alte Oberst von Eichstedt dem ins X-Regiment einspringenden Felix beim Abschied überreicht. „Damit hast Du Deine Ehre blank zu halten, — so oder so —” hat er ihm dazu gesagt mit schwerer Betonung. Der junge Mann versucht's zum ersten Mal, sich die Bedeutung des Wortes „so oder so” klar zu rücken — — — — — — da taucht in dem den Hintergrund dws Schaufensters bildenden Spiegel für einen Moment ein lebendiges Bild auf: der holdeste Mädchenkopf unter mohnblumen­bekränztem Hütchen. Einen Augenblick starren zwei weit offene blaue Augen auf all die Todeswaffen — dann ist das liebliche Bild verschwunden.

Der Lieutenant Brandt von Eichstedt dreht sich auf dem Absatz herum. „Donnerwetter! Der muß ich nachsteigen! Allerliebster Käfer das!”

Don Juan vom Scheitel bis zur Sohle, beginnt er die Verfolgung des reizenden Feindes seiner Ruhe. Bei hübschen Backfischen hat er schon öfters ganzn ungeahnte Erfolge gehabt. Er liebt die Premièren, der schöne Felix . . . . . .

Auf flüchtigen Sohlen eilt die Kleine vor ihm her, ihr goldiges Haar schimmert im Sonnenlicht. — — — Jetzt ist er neben ihr, er greift an die Mütze; mit einer kecken Phrase gedenkt er die Plänkelei zu eröffnen. Da sieht er das weiße Gesichtchen so roth werden, wie die darüber hin nickenden Mohnblumen, zwei Kinderaugen blicken ihn an, flehend, mit bezaubernder Reinheit, halb verständnislos — — — Das dreiste Wort bleibt dem liebenswürdigen Taugenichts auf der Lippe — mit einem Ruck klappt er die Absätze zusammen, salutirt. „Vergeben Sie mir, mein gnädiges Fräulein, ich bitte Sie darum —” Und in unsicherer Haltung, den Blick gesenkt, entfernt sich der schneidigste Herzensbrecher und Ruhestörer der Garnison. Ihm ist, als habe er im Begriff gestanden, seine Schwester zu beschimpfen — — —

*           *           *

Ein paar Monat weiter hin, und der schöne Felix hat sich das Grübeln und Rechnen abgewöhnt. Kameraden von der Kavallerie haben ihn in ihre glänzenden Kreise gezogen, sein Leben ist ein Taumeln von Begierde zu Genuß. Der Sekondelieutnant Brandt von Eichstedt mit 100 Mark Monatszuschuß ist Habitué des Turf geworden, hat sich einen englischen Hunter angeschafft, nebst einem Dalmatiner Hund aus edelster familie, — wettet, jeut, champagnert, macht Tänzerinnen und Zirkusdamen kost spielige Geschenke, kurz. excellirt in jenen Passionen, welche mit dem größten Unrecht von der Welt „noble” genannt werden! Nebenbei protegirt er mauvais suhets, borgt Allen, die sich gut aufs Schmeicheln auskennen, und ist leichsinnig genug, jede Unterschrift zu leisten. Kurz, der schöne Felix gilt als vollendeter Kavalier!

Aber eines Tages sind ihm die Schulden über den Kopf gewachsen. Ohne langes Besinnen eröffnet er sich seinem Vater, bittet, ihm dies eine Mal herauszureißen, und gelobt feierlichst Umkehr. Drei tage später treffen die erbetenen 9000 Mark zur Rangierung ein, ohne ein Wort, ohne einen Begleitbriefohne einen Vorwurf! Der leichtsinnige junge Mensch beißt sich auf die Lippen, wirkt drei tage Urlaub aus und benutzt den nächsten Zug zur Fahrt in die Heimath. Der Vater verweigert ihm den Händedruck, das verhärmte Gesicht der Mutter erschreckt den jungen Taugenichts — er findet keinen Empfang. Nur in den Augen seiner einzigen Schwester steht ein merkwürdiges Leuchten.

Dem schönen felix wird mehr als unbehaglich zu Muth. Schon nach ein paar Stunden kehrt er in seine Garnison zurück. Um die Ohren summt ihm das Wort des Vaters von der Ehre. Ihm ist's, als habe er ihren blanken Schild mit einem Schatten befleckt — — — —

Er faßt ernste, heilige Vorsätze, er sucht die längst bei Seite geworfenen Bücher hervor — — er lebt sich wieder ins „Solide” hinein. Aber die Stichelreden der Kameraden seiner plötzlich hervorbrechenden „Knickerei” gegenüber verträgt er nicht auf die Dauer. Bald reißt ihn der Strudel wieder in seine Kreise, unaufhaltsam treibt er dem Untergang entgegen. Wenige Monate später hält ein bekannter blutiger Wucherer ein hübsches Packet Wechselchen mit der Unterschrift Felix Brandt von Eichstedt in Händen. Hat er doch Spielschulden — Ehrenschulden! — zu bezahlen, der flotte Lieutenant, und die wollen im Zeitraum von 24 Stunden beglichen sein.

In des schönen Felix Behausung sammeln sich Haufen werthloser Dinge an, wie schlechte Cigarren, gepantschte Weine, feuergoldene Uhrketten. Für Anrechnung horrender Summen hat der leichtsinnige Offizier sie mit in Zahlung genommen — nur um sich Geld zu schaffen, immer wieder Geld!

Um diese Zeit ist's, daß er in der Gesellschaft jener holden Kleinen begegnet, vor deren Reinheit sein Don Juanthum einst zurückschreckte. Sie heißt Irene von Linden und ist die Tochter und Schwester mittelloser Offiziere. Er nähert sich ihr, er lernt sie kennen, und ein wahnsinniges Verlangen überkommt den Leichtsinnigen, in der lauteren Atmosphäre des Mädchens all das Häßliche, Niedrige abzustreifen, das ihm sein „flottes” Leben angehängt. Fiebernde Sehnsucht erfüllt ihn ganz — sein Gewissen schlummert ein unter der holdseligen Freundlichkeit des Mädchens gegen ihn. Hingerissen, bezaubert, entdeckt er Irene eines Tages sein ganzes begehrendes Herz. In heißer Zärtlichkeit fällt sie ihm in die Arme. „Wir warten, bis Du Hauptmann erster Klasse bist, gelt Felix,” flüstert sie an seinem Herzen — „dann brauchen wir die dumme Kaution nicht mehr! — Schulden wirst Du ja nicht haben — —”

Wie ein Donnerschlag trifft das Wort den Verwegenen und weckt ihn aus seiner Betäubung. Herrgott er, dem das Wasser schon an der Kehle steht, soll dies zarte, verwöhnte Geschöpf mit sich reißen, ohne die geringste Hoffnung, es dereinst im sucheren Hafen zu landen?

Einen Augenblick überlegt's sich der schöne Felix, ob er nicht den bunten Rock ausziehen, in eine Zivilstellung eintreten könnte. Aber mit klopfenden Pulsen verjagt er diese schnöde Möglichkeit. In Stücke reißen ließ er sich für Irenen, jedes Opfer ist er bereit, ihr zu bringen, nur nicht das seiner Ehre — —

Seiner Ehre! Die Stirn röthet sich ihm! Arg genug ist's schon bestellt um diese Ehre! Die letzte Stunde, in welcher er ein reines Mädchen, das er niemals heirathen kann, küßte, hat den einst so blanken Schild mit einem neuen Flecken verunglimpft. Dem schönen Felix bleibt kein anderer Weg, als der Geliebten seine verzweifelte Lage klar zu legen, ihr unter den wildesten Selbstanklagen seine ganze leichtsinnige Vergangenheit zu beichten, sie um Vergebung anzuflehen! Irene bleibt stumm. Nur ihre Augen haften sich minutenlang starr, wie hülfesuchend, auf Felix, und ihre Hand faßt nach dem Herzen.

Mit unsäglicher Hoheit, ohne das herkömmliche Verklagen des Schuldigen bei Vater und Bruder, zieht sich das Mädchen aus der Situation. In ihrem Innern suchte Irene von jenem Tage an verzweifelnd nach einem Vorwand, weiter zu leben! Sie sehnte ein Martyrium herbei, darin die Beschimpfung abzuwaschen, die man ihr angethan. Sie hatte nicht lange zu suchen. Es kam ans Licht, daß ihr einziger Bruder, seines Vaters Stolz, sich in ähnlicher Lage wie der Lieutenant Brandt von Eichstedt befand, verschuldet über Kopf und Kragen, und keine andere Wahl für ihn blieb, als die zwischen Amerika. einer Kugel oder einer Geldheirath &mdash, —

Ehe noch der Vater von der Sache erfuhr, rettete Irene den Bruder. Sie reichte einem alternden Manne, dessen Millionen sich eigneten, den verlöschenden Glanz der Familie Linden wieder aufzufrischen, ihre Hand. Sie opferte sich, nur um weiter leben zu können!

Als Felix von der Sache erfuhr, starrte er einen Augenblick, wie blöd geworden, vor sich hin und fiel dann besinnungslos in seinen Stuhl zurück. Als er zu sich kam, war er verändert, zerstreut, passiv. Ihn freute Nichts mehr auf der Welt. Er versank in eine anhaltende Gemüthsdepression und hatte den letzten Rest von Selbstachtung verloren.

Um diese Zeit fiel es seinem Hauptmann, einem menschenfreundlichen Manne, ein, Felix einen Dienst zu leisten — unverlangt. Gepeinigt von der Verwandlung seines feschesten Lieutenants, schrieb er heimlich dem alten Obersten Eichstedt, er möge den Schlingel von Sohn durch eine gewisse goldene Medizin doch ein wenig aufpulvern — — —

Und eines Tages sitzt Felix mit verzerrtem Gesicht an seinem Schreibtisch. Vor ihm liegt ein Brief des Vaters, in welchem derselbe sich lossagt von dem Sohne, ihn den Schandfleck der Familie, den Zerstörer von seiner Schwester Lebensglück nennt —

Eine blutige Röthe steigt in die schönen verwüsteten Züge des jungen Offiziers. Die 9000 Mark, mit der ihn seine Familie zu retten geglaubt hat, sind das Heirathsgut seiner Schester gewesen, heiliges Gut! Und er hat es durch die Kehle gejagt, verspielt, verjubelt! Aechzend vergräbt er sein Gesicht in den Händen. Er erinnert sich, daß die kleine Hanni seit ihrem achtzehnten Geburtstag mit einem älteren Premier versprochen ist, und daß er, Felix, in einem Jahr ungefähr von der Angelegenheit nichts mehr gehört hat!

Die Kehle schnürt sich ihm zu. Sein Blick streift über den Pistolenkasten hin. Ob er es versucht, mit Blut die Flecken von seiner Ehre abzuwaschen? Als ob dadurch seine Schulden bezahlt, der Schwester verlorene Hoffnungen hergestellt würden!

Er zieht den Schnurrbart durch die Zähne, er malt mit der Feder Fratzen auf die rothen Aufschläge seiner Uniform, er denkt sich das Hirn wund. — Die ganze Nacht sitzt er brütend da — — Seine Seligkeit würde er ja verpfänden, könnt' er damit seinen Leichtsinn sühnen!

Und als der Tag hereinglänzt, da hat der schöne Felix einen Entschluß gefaßt. Irenens That soll ihm ein Beispiel sein! Er, der Freieste der Freien, wird sich in Ketten begeben, er wird eine reiche Frau nehmen, sich rangiren, und vor allem des Schwesterchens Lebensglück neubegründen. Er reckt sich. Ihm kann's ja nicht fehlen, ihm, dem die Mädel beinahe auf dem Präsentirteller angetragen werden.

Mit müdem Lächeln begiebt er sich daran, noch einmal den „Schwerenöther”, den „verfluchten Kerl” hervorzukehren! So müd', so abgetrieben, so ohne Schneid kommt er sich vor. Aber dem gesteckten Ziel rückt er bald nahe. Ein reizendes Goldfischchen geht ihm sehr schnell ins Netz. Seine Huldigungen sind so weitgehend, daß die Eltern des Mädchens eine baldige Aufklärung erwarten dürfen.

Da begegnet er von Neuem Irenen. Ihr weißes Gesichtchen ist schmal geworden, die Züge wie erstarrt unter einem namenlosen Entsetzen. Mit einem großen verachtenden Blick wendet sie sich von ihm! Voller Raserei erwacht die zur Ruhe gezwungene Sehnsucht in Felix, ihn ergreift ein Ekel vor dem Plan, sich durch eine Heirath ohne Lieb zu rangiren — — — Beinahe brüsk zieht er sich aus dem reichen Hause zurück. Unter den Qualen und Wonnen seiner auferstandenen Liebe kommt's ihm kaum zum Bewußtsein, wie weit er in seinem Drange, sich die reiche Braut zu gewinnen, schon ging — — —

Und dann erfolgt eine Katastrophe. Der Bruder des kompromittirten Mädchens sucht Felix auf — muthet dem Edelmann zu, darum gewußt zu haben, daß der alte Kommerzienrath M. vor dem Bankerott stehe. Felix haut dem vor Zorn über alle Grenzen gerissenen jungen Menschen die Reitpeitsche um die Ohren.

In dem Duell, das zwei Tage später stattfindet, schießt Felix seinen gegner über den Haufen! Ohne Absicht, durch die Tücke des Zufalls! Er hatte dem jungen Mann einen Denkzettel geben wollen, nichts weiter als einen Denkzettel — und tödtete ihn!

Von diesem Augenblick an ist das verwegene Lächeln für immer von dem Gesicht des schönen Felix verschwunden!

Stundenlang sitzt der durch das Spiel bösester Mächte vor sich selber zum Verbrecher Gewordene in einem Winkel seines Zimmers, die Pistolen des Vaters auf den Knieen. Leben und Ende verschiedener Kameraden steigt vor ihm auf — — Da ist der kleine M. von den Ziethenhusaren, da ist Botho von L., der schneidige Dragoner — und dann G. von Felixens eigenem Regiment! Sie alle sind hinausgetollt aus dem Leben, die Pistole in der Hand, nachdem sie genügend leichtsinnige und schlechte Handlungen, sowie eine unabwälzbare Schuldenlast auf sich gehäuft hatten.

Felix schüttelt trüb den Kopf. Den Weg, den ersehntesten, darf er nicht gehen. Wie sprach sein Vater? „Halte Deine Ehre blank!” Und wenn er das verabsäumt hat, so muß er versuchen, die befleckte wieder zu reinigen — so oder so! —

Er lehnt die fiebernde Stirn gegen den Lauf der Pistole. Als ob sein bischen armseliges Blut im Stande wäre, all die furchtbaren Flecke von dem Schild de Ehre fortzubaden! Als ob der Pulverblitz ein Zauber sei, der alle Verpflichtungen gegen unbezahlte Lieferanten zu verlöschen die Macht besitze!

Ein gräßliches Lachen zerrt Felix' Lippen von den Zähnen. Ob er Kellner wird drüben in Amerika? Wie der Z. und der L., ein paar „aufgeflogene” Kameraden? Es soll ja in New-York ein Hotel bestehen, in welchem nur um die Ecke gegangene Offiziere, darunter Grafen und Barone, serviren? „Ha ha ha ha! Der schöne Felix Kellner!” Ein wildes Schluchzen durchschüttert den durch die vielen schlaflosen Nächte, das ewige Grübeln, die wüthende Verzweiflung widerstandslos gemachten Körper. Der Lieutenant Brandt von Eichstedt, der schneidigste Offizier des Regiments, weint, weint Thränen wirklicher, echter, unerschütterlicher Reue!

Und diese Thränen waschen den ersten Flecken fort von seiner Ehre!

Felix ist aufgestanden, jetzt ganz fest, ganz ruhig. Er hat einen Entschluß gefaßt. Er wird seinen Abschied einreichen und dann — — — —

Ihm ist zu Muth, als ginge es in die Schlacht, in ein Streiten auf Leben und Tod. Aus seinen Augen leuchtet Klarheit, ein freudiges Ahnen läßt sein Herz muthig klopfen. Er weiß es, daß er nicht zurückkehren wird aus dem Kampf, aber er wird seine Ehre reingewaschen haben!

Kurze Zeit darauf ist er in Amerika, in dem Land, wo das Geld auf der Straße liegt für den, der hart und schwer zu arbeiten gesonnen ist. Und Felix Brandt, wie der einst vom Schicksal so Verhätschelte sich schlichtweg nennt, gedenkt das Leben anzupacken mit starken Händen, bis es ihm giebt, was er verlangt. Er scheut keine Arbeit, die nicht geradezu erniedrigende Dienstboten­thätigkeit ist, er kennt keine Erholung, kein Ausruhen. Ein fieberhafter Drang zu schaffen hat ihn ergriffen, er magert zum Skelett ab, seine Augen werden weit und glänzend — und eines Tages liegt er auf dem Krankenbett, seine ersten Erfolge sind vernichtet. Doch er kennt kein Verzagen. Muthig beginnt er noch einmal beim Anfang. Durch alle Phasen des Elends schleppt ihn das Leben, aber wie ein Held behauptet er seinen Platz. Und endlich hat er das Mißgeschick bezwungen — lächelnd bietet ihm das Glück die Hand.

Fünf Jahre dauert es, bis Felix auch den letzten seiner Schuldner in der Heimath befriedigen, der Schwester das einst so freudig gebrachte Opfer reichlich vergüten kann! Vom Vater erhält er einen Brief voller Stolz und Freude über den Sohn, den er „damals” als den Schandfleck der Familie bezeichnen mußte! Felix hat nichts weiter zu thun auf der Welt. Freilich ist er auf dem Wege, ein wohlhabender, ja, ein reicher Mann zu werden,aber nach all dem Brausen und Stürmen des Lebens gelüstet's ihn nur noch nach Ruhe — nach der letzten, unstörbaren Ruhe. Und dann —! Er ist Soldat gewesen mit Leib und Seele — nur in des Königs Rock könnt' er sich glücklich fühlen.

Eines Tages öffnet jenen kleinen Koffer, der ihn als einziges Gepäck aus der Heimath begleitet hat, als er sich für die neue Welt einschiffte — und der eine seiner Uniformen enthält, sowie Helm, Schärpe und Portepee — — — — Leuchtenden Auges legt er Alles an. Und dann greift er mit fester Hand nach den Pistolen seines Vater. —

Ein Blitz, — ein Knall — —

Auf des „schönen Felix” wetterdurchstürmtem Todtengesicht liegt ein zufriedenes Lächeln.

Der Schild der Ehre über seinem Grabe wird blank sein!

— — —